Vermögensdelikte vs. All-Crimes-Ansatz

Vom festen Vortatenkatalog zu umfassenden Pflichten – Auswirkungen auf interne Sicherungsmaßnahmen

Ausgangslage: Der Vortatenkatalog in der alten Fassung

Bis zum 18.03.2021 galt für die Geldwäschestrafbarkeit ein sogenannter Vortatenkatalog. § 261 StGB in der alten Fassung (a.F.) benannte explizit bestimmte Straftatbestände, aus denen der Gegenstand stammen musste, damit eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche eintrat. Dazu gehörten insbesondere:

  • Vermögensdelikte wie Betrug (§ 263 StGB), Untreue (§ 266 StGB), Diebstahl (§ 242 StGB)
  • Korruptionsdelikte (§§ 332–334 StGB)
  • Steuerhinterziehung (§ 370 AO) – allerdings nur in qualifizierter Form
  • BtM-Delikte, Urheberrechtsverstöße, Markenpiraterie u. a., nur bei gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Begehung

Dieser Katalog bildete die Grundlage für Risikobewertungen, Monitoring-Systeme, Verdachtsmeldungen und Kontrollhandlungen im Rahmen der Geldwäscheprävention.


Paradigmenwechsel: Der All-Crimes-Ansatz seit 18.03.2021

Mit der Reform des § 261 StGB durch das Gesetz vom 09.03.2021 (BGBl. I S. 327) wurde der Kataloggedanke vollständig aufgegeben. Seitdem gilt:

Jede rechtswidrige Tat – ob Verbrechen oder Vergehen, ob vorsätzlich oder fahrlässig, ob gewerbsmäßig oder nicht – kann Vortat einer Geldwäsche sein, sofern daraus ein Vermögensgegenstand stammt.

Dies wird als All-Crimes-Ansatz bezeichnet und bedeutet eine erhebliche Erweiterung des geldwäscherechtlichen Anwendungsbereichs.


§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F. – Verbrechen

Alt:
Nur „Verbrechen“ (d. h. Straftaten mit Mindeststrafe von ≥1 Jahr) unabhängig vom Deliktstyp.

Neu:
Jede rechtswidrige Tat – also auch Vergehen (z. B. einfache Diebstähle, kleine Betrügereien, Urkundenfälschung, einfache Körperverletzung), unabhängig von der Strafandrohung.

Konkret hinzugekommen:

  • Vergehen jeder Art, sofern aus ihnen Vermögenswerte hervorgehen (auch minderschwere Fälle)
  • Beispielsweise:
    • § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung mit Schmerzensgeld)
    • § 123 StGB (Hausfriedensbruch mit Diebstahlabsicht)
    • § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt)
    • § 266b StGB (Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten)
    • § 303a StGB (Datenveränderung)
    • Verstöße gegen § 34 FinVermV (Pflichten von Finanzvermittlern)

§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. – Bestechung und BtM-Delikte

Alt:
Nur bestimmte Korruptions- und BtM-Vortaten aus dem Katalog.

Neu:
Alle Formen von Korruptions- und Drogenstraftaten, auch minderschwere oder nicht näher konkretisierte Formen.

Konkret hinzugekommen:

  • BtMG: alle Verstöße, z. B. auch Besitz geringer Mengen für den Eigenverbrauch (§ 29 BtMG)
  • GÜG: alle Verstöße, auch fahrlässige
  • StGB:
    • auch Versuchsstrafbarkeit, Anstiftung, Beihilfe zu § 108e ff. StGB
    • § 331, 333 StGB (Vorteilsannahme/-gewährung – mildere Korruptionsdelikte)

§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB a.F. – Steuerhehlerei & Marktorganisation

Alt:
Nur § 373, § 374 Abs. 2 AO in Verbindung mit Marktorganisationsrecht

Neu:
Alle Verstöße gegen steuerliche Vorschriften sind erfasst, also auch einfache Steuerhinterziehung (§ 370 AO ohne banden-/gewerbsmäßige Begehung), leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) usw.

Konkret hinzugekommen:

  • § 370 AO ohne Qualifikation
  • § 379 AO (Steuergefährdung)
  • § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung)
  • Verstöße gegen § 143 AO (Pflicht zur Buchführung)
  • Auch Verbrauchssteuern, Zölle, Energiesteuerdelikte etc.

§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB a.F. – Vermögens- und Eigentumsdelikte

Alt:
Nur bestimmte Katalogdelikte – nur bei gewerbsmäßiger/bandenmäßiger Begehung.

Neu:
Alle diese Delikte sind auch ohne gewerbsmäßige/bandenmäßige Begehung taugliche Vortaten.

Konkret hinzugekommen:

  • Dieselben Delikte – aber bereits bei einfacher Begehung
  • Auch seltene Varianten und Versuchsstadien
  • Weitere denkbare Delikte, z. B.:
    • § 263a StGB (Computerbetrug)
    • § 266a StGB (Arbeitentgeltvorenthaltung)
    • § 303a, b StGB (Datenveränderung, Computersabotage)
    • § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs)

Hinweis: Die Schwelle „gewerbsmäßig oder bandenmäßig“ fällt weg.


§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StGB a.F. – Terrorismus & Vereinigungen

Alt:
Nur bestimmte sicherheitsrelevante Delikte (z. B. §§ 89a, 129a StGB) durch Mitglieder krimineller/terroristischer Vereinigungen.

Neu:
Alle Delikte dieser Art sind erfasst, auch Einzeltäter ohne Vereinsbezug.

Konkret hinzugekommen:

  • Einzeltaten (z. B. § 89c StGB durch Einzelperson)
  • Vorbereitung von Terrorfinanzierung
  • Verstöße gegen §§ 91 StGB (Anleitung zu Straftaten)
  • § 140 StGB (Belohnung/Billigung von Straftaten)

§ 261 Abs. 1 Satz 3 StGB a.F. – Steuerhinterziehungsobjekte

Alt:
Klarstellung zur Einbeziehung von hinterzogenen Steuern, Steuerersparnissen und nicht gerechtfertigten Erstattungen.

Neu:
Diese Klarstellung ist nicht explizit enthalten, aber durch All-Crimes-Ansatz automatisch abgedeckt.

Konkret hinzugekommen:

  • Auch geringfügige, unvorsätzliche oder leichtfertige Steuervergehen
  • Auch fahrlässige Fehlangaben bei Steuervoranmeldungen (z. B. USt, LSt)

Zusammenfassung:

BereichHauptänderungNeu erfasste Delikte
Verbrechen allgemeinauch einfache Vergehen§ 266a StGB, § 303a StGB, § 229 StGB
Korruptionauch leichte oder versuchte Delikte§ 331 StGB, § 333 StGB
Betäubungsmittel (BtM)auch leichte oder versuchte Delikte§ 29 BtMG (Eigenverbrauch)
Steuerjede Form von Steuerverstößen§ 370 AO ohne Qualifikation, § 378 AO
Vermögensdeliktekeine Schwelle mehreinfache Diebstähle, Betrug ohne Gewerbsmäßigkeit
Terrorismusauch Einzeltaten§ 91 StGB, § 140 StGB

Auswirkungen auf interne Sicherungsmaßnahmen

Erweiterung des Risikohorizonts

Kontrollsysteme können sich nicht mehr auf klassische Vortaten konzentrieren. Vielmehr müssen sämtliche risikobehafteten Geldflüsse aus potenziell rechtswidrigen Handlungen überwacht und bewertet werden – unabhängig vom konkreten Delikt.

Beispiel: Auch bei Arbeitszeitbetrug, Abrechnungsmanipulationen im Gesundheitswesen oder Umweltstraftaten kann Geldwäsche vorliegen.

Anpassung der Risikoanalyse

Die institutsinterne Risikoanalyse muss alle relevanten Deliktsbereiche abdecken – einschließlich solcher, die bislang nicht im Fokus standen (z. B. Organhandel, Datenschutzverstöße mit Erpressung, Schutzrechtsverletzungen).

Damit steigen die Anforderungen an Fachbereiche, Compliance und Geldwäschebeauftragte, systematisch Deliktsrisiken zu erfassen und auf Kontrollprozesse abzubilden.

Integration nicht-finanzieller Delikte

Während früher vorrangig Vermögensdelikte im engeren Sinne geprüft wurden, müssen nun auch Vermögenswerte aus „non-traditional crimes“ wie:

  • § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt)
  • § 303a StGB (Datenveränderung)
  • § 91 StGB (Anleitung zu Straftaten)
    in die Analyse und Detektion aufgenommen werden.

Schulungs- und Sensibilisierungsbedarf

Mitarbeitende in Front-Office, Kundenservice, Zahlungsabwicklung oder Risikomanagement benötigen verstärkt Schulungen, um ungewöhnliche Fallkonstellationen mit potenzieller Geldwäsche-Relevanz zu erkennen. Der klassische Blick auf Betrug und Drogenkriminalität reicht nicht mehr aus.

Verflechtung mit § 25h KWG („sonstige strafbare Handlungen“)

Die Schnittmenge zwischen Geldwäscheprävention und sonstiger Wirtschaftskriminalität ist gewachsen. Maßnahmen zur Prävention von Untreue, Korruption oder Marktmanipulation wirken nun zugleich geldwäscherechtlich. Interne Kontrollsysteme müssen diese Doppelwirkung systematisch nutzen.


Empfehlungen für die Praxis

  • Interne Kontrollpläne müssen erweitert und dynamisiert werden, z. B. durch regelmäßige Abgleiche mit aktuellen Straftypologien (FIU-Berichte, FATF etc.)
  • Verdachtsmeldeschwellen sollten intern niedriger angesetzt werden, um atypische Fälle frühzeitig prüfen zu können
  • Monitoring-Systeme sind um neue Risikodimensionen zu ergänzen (z. B. durch Einbindung ESG-relevanter Delikte)
  • Audit-Trails und Dokumentationspflichten sollten sich an der weiten Auslegung des Geldwäschebegriffs orientieren

Fazit: Fundamentaler Wandel

Der Übergang vom Vortatenkatalog zum All-Crimes-Ansatz stellt einen fundamentalen Wandel dar. Die Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen strafbaren Handlungen ist nun offen, deliktsübergreifend und dynamisch. Für Kreditinstitute und Finanzdienstleister bedeutet das: Weg von einer rein deliktbasierten Betrachtung hin zu einer risikoorientierten Gesamtbewertung aller verdächtigen Vermögensbewegungen. Nur so lassen sich regulatorische Anforderungen erfüllen – und reputative Schäden vermeiden.

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